Theologischen Bewertung des Schöpfungsberichts
Nach Gerhard von Rad (Das Alte Testament Deutsch, Teilband 2, Das erste Buch Mose, 5. Auflage, 1958, Göttingen, S. 50 ff) hat der Text von Gottes Weltschöpfung keinen Verfasser in unserem Sinn des Wortes; er ist seinem Wesen nach nicht Mythus und nicht Sage, sondern Priesterlehre. Es handelt sich um uraltes sakrales Wissen, von den bewahrenden Händen vieler Generationen von Priestern weitergegeben, immer wieder aufs Neue bedacht, gelehrt, durchgeformt. Verschiedene Unebenheiten im Stoff machen deutlich, dass dieser Prozess Hand in Hand ging mit einer immer radikaleren Reinigung und Ausschmelzung aller mythischen und spekulativen Elemente, eine staunenswerte theologische Leistung.
Zwar klingen einige Begriffe an, die offensichtlich Gemeingut altorientalischen, kosmologischen Denkens waren, aber sie haben eine andere Bedeutung. Z. B. gibt es im babylonischen Schöpfungsepos einen Weltdrachen „Tiamat“. Doch im Buch 1. Mose heißt es: Am Anfang war „tehom“ (das Chaosmeer), ein ungestalteter Urstoff der Schöpfung. Es gibt keinen Kampf zweier Urprinzipien, nicht einmal ein Unterton über eine gottfeindliche Macht ist spürbar. Es wird nicht spekulativ ein kosmisches Schauspiel entwickelt und der Schöpfungsakt selbst wird auch nicht beschrieben. Daher kann der Schöpfungsbericht nicht von Assyrern oder Babyloniern übernommen worden sein.
Das Leitthema der Berichte lautet: Alles ist von Gott geschaffen, es gibt keine schöpferische Macht außer ihm. Eine Stufenfolge in den Beziehungen der Kreaturen zum Schöpfer ist erkennbar. Die Schöpfung beginnt mit dem am Fernsten zu Gott stehenden, dem Chaos. Dann folgen Licht und Finsternis, dann die Atmosphäre, dann Festland (Erde) und Meer, dann die Pflanzen, dann Sonne und Sterne, dann Wassertiere, dann Vögel, dann Landtiere und zuletzt der Mensch nach dem Bild des Schöpfers.
Die Welt ist also auf den Menschen hin angelegt und der Mensch ist unmittelbar Gott zugeordnet. Daher ist auch eine Vergottung der Natur abwegig.
Mit der Schöpfung beginnt die Geschichte der Welt und der Menschen in ihr.