Zum Kanon des Neuen Testaments

Im römischen Reich herrschte ein Religionspluralismus. An vielen Orten vermischten sich die Religionen. Es haben sich auch Lehren gebildet, die christliche Glaubensauffassungen mit Inhalten anderer Anschauungen und Religionen vermengten.

Die frühe Kirche war zahlreichen Angriffen von außen, so vom römischen Staat, und von innen durch Auflösungserscheinungen ausgesetzt. Schon im 1. Jahrhundert drohte eine Form der Gnosis das Christentum aufzulösen. Zur Abwehr gegen diese Lehren musste die junge Kirche, die ja noch kaum Organisationsstruktur besaß, festlegen, welche Schriften allgemein anerkannt werden. Diese Schriften wurden dann als Kanon bezeichnet. Kanon als Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Rohr“. Im alten Orient wurde ein Stab zum Messen benutzt. Im frühkirchlichen Gebrauch bezeichnet „Kanon“ eine Glaubensregel, die von der Tradition bezeugt wird. Athanasius unterschied zwischen kanonischen Schriften, die überliefert und als von Gott stammend geglaubt werden und apokryphen Schriften, in denen Irrlehrer ihre Lehren mit den von Gott inspirierten vermischt haben (Lit.: Donath Hercsik: Die Grundlagen unseres Glaubens, 2005, LIT-Verlag Münster S.71 ff).

In relativ früher Zeit, Anfang des 2. Jahrhunderts, waren schon Paulusbriefe und Evangelien im Umlauf. Im 1. Clemensbrief Kapitel 47,1 (u. a. im Codex Alexandrinus zu finden, auch im Internet unter: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel4.htm ), der ca. 95 nach Chr. verfasst wurde, schreibt Clemens von Rom den Korinthern, dass sie den Brief des Paulus lesen sollen.

Der Kirchenvater Justin zitiert aus den Evangelien (130 – 150 nach Chr.), siehe z. B. Chapter XV

Der Kirchenvater  Irenäus beschreibt nicht nur die Entstehung der vier Evangelien. Er zitiert neben den Evangelien auch aus Paulusbriefen und der Apostelgeschichte in seinem Werk „Gegen die Häresien“ in der Zeit 180 – 185 nach Chr.

Gegen Ende des 2. Jahrhunderts besteht der Kanon aus den vier Evangelien, der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen.

Im 3. Jahrhundert setzten sich dann der 1. Petrusbrief und der 1. Johannesbrief durch.

Für die restlichen Schriften dauerte die allgemeine Anerkennung etwas länger. Es handelt sich um: den 2. und den 3. Johannesbrief, den Jakobusbrief, den Judasbrief, sowie den Hebräerbrief und die Offenbarung des Johannes.

Mitte des 4. Jahrhunderts, nach Gründung der Reichskirche, wurde der Kanon durch Bischofsentscheidungen und Synodaldekrete für ganze Provinzen festgeschrieben. Im Osten des römischen Reiches hat Athanasius 367 nach Chr. in einem Osterbrief über den kanonischen Bestand der Bibel geschrieben. Hieronymus und Augustin setzten im Westen den 27-Schriftenkanon durch.

Auf den Synoden von Hippo 393 und Karthago 397 und 419 nach Chr. wurde die Zahl und Reihenfolge der Schriften endgültig festgelegt (Oscar Paret: Die Bibel – ihre Überlieferung in Druck und Schrift, Stuttgart, 1949, S. 44).

Die Einheitlichkeit des neutestamentlichen Kanons mit seinen 27 Büchern, wie ihn alle Konfessionen der Christenheit heute haben, ist also am Ausgang des 4. Jahrhunderts in einer Reihe von Kirchenprovinzen erzielt worden und benötigte dann noch Zeit, um sich überall durchzusetzen (K. Aland: Geschichte der Christenheit, Gütersloh, 1980, S. 112 ff).

Die Entwicklung einer einheitlichen Fassung des griechischen Neuen Testaments in der Neuzeit ist im Anhang kurz dargestellt.

 

Zu Irenäus von Lyon

Irenäus (Bischof von Lyon) lebte etwa von 135 – 200 nach Chr. Er hat als Jugendlicher noch Bischof Polycarp von Smyrna kennengelernt (siehe „Gegen die Häresien“ Buch III, 3,4). Polycarp war Schüler des Apostels Johannes. Irenäus schreibt in „Gegen die Häresien“ (Buch III, 1,1): Matthäus hat in hebräischer Sprache gepredigt und eine Evangeliumsschrift verfasst, als Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündeten. Nach deren Tod zeichnete Markus, der Schüler und Dolmetscher von Petrus, dessen Predigt auf. Ähnlich hat Lukas, der Begleiter von Paulus, das von diesem verkündete Evangelium in einem Buch niedergelegt. Zuletzt gab Johannes, der Schüler des Herrn Jesus, der an seiner Brust ruhte, während des Aufenthalts in Ephesus in (Klein-)Asien das Evangelium heraus.

Die Schriften von Irenäus sind durch Funde gut belegt. Quellen sind hauptsächlich lateinische Übersetzungen, vom ursprünglich griechischen Text gibt es Fragmente. Siehe auch: Außerkanonische Schriften.

Lit.: Irénée de Lyon: Contre les hérésies; Edition Adelin Rousseau, Louis Doutreleau; CERF Paris, 5 Bände 1965 – 1982, Lateinisch, Griechisch und Französisch.   Irenäus von Lyon: Gegen die Häresien/ übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox, Herder, Freiburg im Breisgau (Fontes Christiani; Bände 8/1 – 8/2 – 8/3 – 8/4 – 8/5); 1993 – 2001, Griechisch, Lateinisch, Deutsch.

Im Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Iren%C3%A4us_von_Lyon und http://www.unifr.ch/bkv/kapitel581.htm